AutorInnen: Club of Rome/ Wuppertal Institut
Welche Reise unsere Leser*innen erwartet
Dieses Buch handelt von radikaler Veränderung. Denn eine tiefgehende gesellschaftliche Transformation ist angesichts der Vielzahl der globalen Krisen unumgänglich. Es geht um Möglichkeiten und Chancen, gemeinsam die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Produktions- und Konsumweisen so zu verändern, dass die Ausbeutung von Menschen und Natur gestoppt werden kann. Wir behaupten, dass es genügend wissenschaftliche Belege dafür gibt, dass dies keine unerreichbare Utopie ist, sondern eine Vision, die Realität werden kann. Sicher nicht gleich morgen, aber noch für unsere Kinder und Enkel, wenn wir uns heute energisch auf den Weg machen. Und nicht nur hier in Deutschland, sondern auch anderswo.
Die derzeitigen katastrophalen Veränderungen, die multiplen ökologischen und sozialen Krisen – allen voran die Klimakrise und die Kriege – sind menschengemacht. Daher können Menschen sie auch ändern, wenn sie den Mut und Gestaltungswillen aufbringen, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu ändern, die das lähmende Gefühl von Ohnmacht und Ausgeliefertsein immer wieder hervorrufen. Veränderungsdruck ausgesetzt zu sein, führt bei vielen Menschen zu starken Verunsicherungen, nicht selten verbunden mit Zukunftsängsten und Verzweiflung. Oder er fördert illusionäre, oft genug politisch reaktionäre Rückwärtsgewandtheit. Mut zur Veränderung dagegen kann Mehrheiten beflügeln, wenn das Ziel, eine Wohlergehensgesellschaft für alle, hinreichend klar und akzeptiert ist und die Wege dorthin gangbar und präzise ausgeschildert werden. Unser Buch liefert verschiedene Vorschläge für solche Wege.
Transformation ist notwendig und auf demokratischem Wege möglich
Die Erfahrung zeigt: Widerstände wird es vor allem bei denen geben, die umfassende Privilegien, übermäßigen Ressourcenverbrauch, unermessliches Vermögen, riesigen Reichtum und ein enormes Macht- und Manipulationspotenzial auf sich konzentrieren konnten. Aber statt sich hierdurch entmutigen zu lassen, sollte eine Grundsatzfrage gestellt und beantwortet werden, damit gesellschaftliche Transformation gelingt: Wie könnten eine Politik und ein gesellschaftlicher Dialog aussehen, der die Fürsorge für die weniger Vermögenden gemäß dem Appell „Leave no one behind“ (Lass niemanden zurück) verbindet mit einer Strategie „Tax the Rich – Take the Rich on board“ (Besteuere die Reichen – nimm die Reichen mit an Bord)? Können Politik und Zivilgesellschaft zum Beispiel mit der Initiative „taxmenow“ neue Allianzen mit dem Ziel eingehen, die sozialökologische Transformation auch gegen den Lobbyismus von Reichtum und Macht durchzusetzen? Antonis Schwarz, Millionär und Vertreter von „taxmenow“, sagte in einem Interview: »Als Vermögender ist es auch nicht so super, auf einem Planeten zu leben, wo sozial und ökologisch alles aus den Fugen gerät«. Kann eine solch realistische Einschätzung die Basis für ein Gemeinschaftswerk werden?
Diese scheinbar utopischen Fragen im Sinne von „taxmenow“ zu beantworten, ist mehrheitsfähig und in hohem Maße demokratiefördernd. Die Politik und wir alle müssen uns einfach mehr trauen.
Gesellschaftliche Veränderung braucht Mut, um die Problemlagen offenzulegen, Wahrhaftigkeit, Zuversicht, breite gesellschaftliche Allianzen und harte wissenschaftliche Fakten. Wenn wir mit diesem Buch einige Impulse dazu beisteuern können, wären wir glücklich, denn das ist das Ziel gesellschaftlich relevanter Wissenschaft. Wir wissen, dass wir damit nur einen Stein ins Wasser werfen können, der Wellen schlägt. Aber wir hoffen, dass dadurch eine größere Welle an vertiefter Forschung weiterer wissenschaftlicher Institute und ein breiter gesellschaftlicher Dialog ausgelöst werden. Und wir wissen, dass wir mit der einen oder anderen Idee auch anecken werden. Aber wer, wenn nicht die Wissenschaft soll in einer Welt voller komplexer Problemlagen Diskussionsimpulse setzen, an denen man sich reiben kann, um dann gemeinsam zu besseren Konzepten zu kommen.
Und Problemlagen gibt es mehr als genug: »Der Klimawandel ist sichtbar, fühlbar, messbar.« Das ist die knappste Zusammenfassung eines der größten Rückversicherer der Welt. Einige Länder erleben diesen menschengemachten sogenannten Wandel der Natur bereits heute in Form von Katastrophen mit Tausenden von Opfern und Milliarden von Schäden durch Dürren, Hitzewellen, Überschwemmungen, Mangelernährung und Armut. Die Wissenschaft warnt vor noch weit schlimmeren und weltweiten Katastrophen einer sogenannten Heißzeit, wenn es bei einem »Weiter so« bleibt und der nahezu vollständige Ausstieg aus Kohle, Öl und Erdgas nicht spätestens bis 2050 erfolgt. Wer nicht absichtsvoll verschleiern möchte und wer es wissen will, für den ist zweifelsfrei feststellbar: Wir haben ein Klimawandelproblem, und zwar ein gewaltiges.
Können 150 Jahre Industriegeschichte und Kapitalismus – aufgebaut auf einer exponentiell wachsenden Nutzung von Rohstoffen wie den fossilen Energien – innerhalb der nächsten 25 Jahren überführt werden in einen derart radikalen weltweiten sozialökologischen Transformationsprozess? Ist eine nahezu vollständige weltweite Defossilisierung möglich? Die Wissenschaft sagt: prinzipiell ja. Die technischen Hauptstrategien dafür, Effizienz und Konsistenz (erneuerbare Energien), sind in ihrer enormen Vielschichtigkeit mittlerweile nicht nur bekannt, sondern auch längst in der Breite erprobt.
Was dabei zu wenig beachtet wird, ist die Tatsache, dass dieser historisch beispiellose technisch-ökonomische Umbauprozess der Wirtschaft in einer extrem ungleichen Weltgesellschaft und in vielen Ländern mit derzeit noch schroffen Gegensätzen zwischen Reich und Arm stattfinden soll. Wer die Transformation zur Wohlergehensgesellschaft anstrebt, aber die heutige Ungleichheit stillschweigend beibehalten möchte, hofft auf das Unmögliche. Eine gerechte und faire Gestaltung der Transformation erfordert mehr als die Konzentration auf die obigen technischen Hauptstrategien. Sie muss auch in kluger Weise die Frage nach Verantwortung und Begrenzung beantworten. Das gilt vor allem für diejenigen, die auf der Seite des Reichtums stehen und zu viel verbrauchen. Der materielle Fußabdruck reicher Haushalte ist weltweit mehr als 20-mal höher als der einkommensschwacher Haushalte. 10 Prozent der reichsten Weltbevölkerung verursachen fast 50 Prozent der CO2-Emissionen, 50 Prozent der Ärmsten nur knapp 10 Prozent. Insofern wird immer deutlicher: Der Klima-, Arten-, Boden-, Wasser- und generelle Ökosystemschutz ist ohne den drastischen Abbau von Ungleichheit nicht zu lösen. Das ist die Kernaussage, die der Club of Rome 2022, 50 Jahre nach dem Paukenschlag von »Die Grenzen des Wachstums«, mit seiner neuen Studie »Earth4All« mindestens ebenso provozierend wie seinerzeit formuliert hat.
Dieses Zusammendenken von Gerechtigkeit und ökologischen Fragen empfanden wir, das Wissenschaftsteam hinter diesem Buch, so überzeugend belegt und in der derzeitigen politischen Situation zudem so drängend, dass wir die Kernaussagen der Studie für Deutschland mit diesem Buch überprüfen wollten. So wie es auf Initiative des Club of Rome auch in Kenia und Österreich schon erfolgt ist und in anderen Ländern geplant wird.
Club of Rome/ Wuppertal Institut
“Earth for All Deutschland”
280 S., 30 Schaubilder, Oekom Vlg., 26 €
Siehe auch unter “Wortwelten” S. 56.
Textauszug mit freundlicher Genehmigung des Oekom-Verlages.
Autor: Achim Bubenzer
Antworten und Einsichten eines Großvaters zum Klimawandel
Im Sommer 2017 suchte ich an einem späten Nachmittag in der Salzburger Innenstadt den Weg von der Universität zu meinem Hotel. Ein Salzburgführer hätte mich vermutlich längst an diesen Ort geschickt, aber ich sah den großen, schneeweißen barocken Kirchenbau zum ersten Mal: die Kollegienkirche, die Kirche der Universität. Das Portal stand offen, und ich ging hinein. Wände und Decken des hohen Kuppelbaus waren innen ebenso schneeweiß wie außen, der Raum bis auf den Altar und kleinere Kapellen am Rand war völlig leer, die Nachmittagssonne schien durch die Fenster, es war ganz still, und ich stand völlig allein unter der mächtigen Kuppel.
Gedanken, Erfindungen, neue Ideen brauchen oft Geburtshelfer: besondere Orte, Stimmungen, Zeiten. Dies hier war mein Ort und meine Zeit. An dieser Stelle, in diesem Augenblick, wurde mir eines klar: Die heute lebenden Menschen haben als erste und einzige Generation in der Menschheitsgeschichte die Chance und die Pflicht, mit ihrem Handeln die Weichen für das weitere Überleben der Menschheit zu stellen.
Diese Erkenntnis ist keine Hybris. Sie ist nicht besonders originell und auch nicht überraschend. Sie ist im Grunde jedem klar, der sich ernsthaft mit dem Thema Klimawandel und Erderhitzung auseinandersetzt. Aber diese Erkenntnis überfordert letztlich auch jeden. Man kann sich dabei nur klein und machtlos fühlen.
Hier, an diesem Ort, in diesem Augenblick, hatte mich diese Erkenntnis allerdings kalt erwischt. Sie hat sich in meinen Kopf, in meine Seele eingebrannt. Ich werde sie nicht mehr los. Mir bleibt nur, sie zu verbreiten: an meine Leserinnen und Leser, an alle, die mir zuhören.(…)
Zeit für Verantwortung
Es ist mitunter ein unheilvoller Trend in unserer Gesellschaft: Immer muss es jemanden geben, der die Verantwortung trägt, wenn etwas schiefgeht oder ein Unheil geschieht – jemand, der »Schuld hat«.
Doch beim Thema Klimawandel und Erderhitzung lässt sich die Verantwortung, die »Schuld«, nicht so einfach wegschieben. Schuld tragen wir Menschen mehr oder weniger alle. Denn die seit über 30 Jahren international erforschte und sauber dokumentierte Beweislage ist erdrückend: Klimawandel und Erderhitzung sind menschengemacht, vor allem durch die massive Nutzung fossiler Brennstoffe Kohle, Öl und Gas und das dabei emittierte Klimagas CO2.
An diesem Punkt kommen wir Väter und Großväter ins Spiel. Ich sage ganz bewusst wir, denn ich bekenne mich persönlich zu dieser Rolle. Wir, die Väter und Großväter, die Männer dieser Welt, viele darunter schon in der fortgeschrittenen zweiten Lebenshälfte, waren und sind maßgeblich beteiligt an der Erderhitzung, der eine mehr, der andere weniger. Ganz besonders gilt das natürlich für die sogenannten Leistungsträger und Entscheider, also die Mächtigen unter uns: die CEOs, die Vorstandsvorsitzenden, Aufsichtsräte, Geschäftsführer, Controller, Aktionärsvertreter, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter, die Minister und Ministerpräsidenten, die Staatssekretäre, Ministerialbeamten, Amtsleiter, Banker, Parlamentarier, Parteifunktionäre, Lobbyisten, Staatspräsidenten, Kanzler, Bürgermeister.
In all diesen – und vielen anderen – Positionen wurden in den vergangenen drei Jahrzehnten klimarelevante Entscheidungen getroffen, und es hatten in diesen entscheidenden Jahren überwiegend Männer, also wir Väter und vor allem wir Großväter, das Sagen, je höher in den Hierarchien, umso mehr. Daher stellt sich mir die bohrende Frage: Brauchen wir nicht auch eine Bewegung »Grandfathers for Future«? Großväter in der Verantwortung? (…)
Klimaneutralität in einem Vierteljahrhundert?
An dieser Stelle muss auch ich mir immer wieder deutlich machen, was das Ziel der globalen Klimaneutralität bedeutet: Die Menschheit muss innerhalb von rund 30 Jahren ihre erprobte, gut funktionierende, profitable und noch lange nicht versiegte Quelle fossiler Energien aufgeben, muss den Verbrauch fossiler Energien von rund 80 Prozent auf annähernd null reduzieren.
Puh! Die Lösung einer solchen Menschheitsaufgabe ist ein Härtetest für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Dabei prallen auch bei politisch aktiven, verantwortungsbewussten und für Klimaschutz, Umwelt- oder Sozialarbeit offenen und engagierten Menschen unterschiedliche Meinungen und Schwerpunkte aufeinander. Jeder von uns hat in seinem Leben, seiner beruflichen Arbeit andere, oft emotional prägende persönliche Erfahrungen gemacht. Ich habe mit unterschiedlichsten Menschen über Klimaneutralität und die Einhaltung der Grenzen des Pariser Vertrages gesprochen und möchte nachfolgend einige ihrer durchaus nachvollziehbaren Perspektiven und Argumentationsmuster nachzeichnen.
Ein erfahrener Technologe und Weltbürger: Wer international energietechnische Erfahrungen gemacht hat, der hat die überwältigenden Größenordnungen von Energieeinsatz und oft auch Energieverschwendung außerhalb unseres kleinen Deutschlands erlebt. Wer einmal nachts über die Ölfelder auf der arabischen Halbinsel geflogen ist und die brennenden Fackeln des abbrennenden Erdgases an Bohrlöchern gesehen hat oder gar als Experte vor Ort ein solches außer Kontrolle geratenes Feuerinferno direkt erleben musste, wer in China den Smog aufgrund der vielen kleinen alten oder neuen Kohlekraftwerke atmen musste oder die gigantischen ökologischen und sozialen Zerstörungen für Wasserkraft durch den Yangtse-Staudamm sehen konnte, wer auch nur eine solche Erfahrung gemacht hat, der sieht unsere Photovoltaikanlagen auf Hausdächern, unsere Mühe beim Einsparen von Plastikverpackungen und unsere Rad fahrenden Grünen mitunter nur noch mitleidig an.
Ein kompetenter Unternehmer: Ein hochprofilierter, verantwortungsbewusster Mann, der sein Leben in unternehmerischen Strukturen, Regeln, Zeitkonstanten verbracht hat, schlägt vor den wirtschaftlichen Umstrukturierungen durch die »große Transformation« die Hände über dem Kopf zusammen und sieht als Perspektive nur Massenarbeitslosigkeit und soziale Unruhen. Als einzigen Ausweg glaubt er an die »Waldlösung« – den strikten Erhalt der Regenwälder und weitere Aufforstungen, um durch Erhalt und Stärkung natürlicher CO2-Senken einen weichen Übergang in eine klimaneutrale Wirtschaft zu ermöglichen.
Ein führender, hochverdienter Wissenschaftler für Klimaschutz sieht in eben dieser Waldlösung hingegen vor allem den Konflikt gegenüber landwirtschaftlichen Flächen für die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung und hält ihn deshalb für völlig verfehlt.
Eine politische engagierte Großmutter hat vor allem ihre Enkel vor Augen, mit ihrer Freude am Leben, am Spielen, am Unfug machen, mit Liebe zu Gutenachtgeschichten und völligem Vertrauen in die Eltern oder Großeltern. Wenn sie dann daran denkt, wie wir dieses Vertrauen unter fadenscheinigen Argumenten von Wirtschaftlichkeit und Zeitmangel mit dem bequemen Hinweis auf unsere Machtlosigkeit missbrauchen, zerreißt es ihr förmlich das Herz. Denn sie weiß, in welche von politischen und klimatischen Katastrophen gezeichnete Welt wir unsere Enkel und Urenkel entlassen. Sie hat absolut kein Verständnis mehr für den Egoismus von Urlaubsfernreisenden, von Fahrern fetter SUVs, und sie hält politische Kompromisse auf Kosten von Klima-, Umwelt- und Artenschutz zum »Erhalt unseres Wohlstands«, um »alle Menschen mitzunehmen«, einfach nicht mehr aus. Es fehlt nicht viel, und sie würde sich in ihrer Verzweiflung zusammen mit den Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation auf einer Straße festkleben.
Eine Umweltaktivistin: Für sie als im politischen »Nahkampf« erprobte und oft erschöpfte Klima- und Umweltkämpferin, die sich bestens in den Details von Energieverschwendung und Umweltzerstörung in unserem Land auskennt, ist Verzicht und Einschränkung im Lebensstil die einzige Lösung. Sie hält die Einbindung der Wirtschaft in den Klimaschutz über die CO2- Bepreisung für ein Ablenkungsmanöver, damit diese als Kern des Übels weiter ungestört »Business as usual« betreiben kann.
Eine Entwicklungshelferin: Sie hat in Afrika Elend und Hunger erlebt, und Klimaschutz erscheint ihr als Luxus der Reichen. Menschen mit diesem Erfahrungshintergrund haben oft wenig Verständnis für unsere Art von technologisch aufwändigen Lösungen wie zum Beispiel komfortable und leistungsstarke Elektrofahrzeuge oder Passivhäuser.
Alle diese Menschen haben, aus der Perspektive ihrer Erfahrungen und Kenntnisse, in gewisser Weise recht, und ihre Argumente und emotionalen Situationen müssen ernst genommen werden. Wer seine Energie und Zeit vor allem in das eigene Fachgebiet oder in den Lebensbereich investiert, für den er oder sie emotional brennt, kann schließlich nicht auch noch alle anderen Bereiche der großen Transformation im Blick haben. Allerdings kommen wir bei dem komplexen und alles umfassenden Thema der Klimaneutralität um eine ganzheitliche Lösung einfach nicht herum. Es müssen sämtliche Teilbereiche und die sich ergänzenden Lösungsansätze berücksichtigt, gegeneinander abgewogen und schließlich zusammengefügt werden.(…)
Achtsamkeit im Umgang miteinander
Auch wenn Politik, Wirtschaft und private Verbraucher entschlossen Strategien zum Erreichen der Klimaneutralität entwickeln und umzusetzen beginnen, werden die Auswirkungen der Klimakrise für uns alle in den 20er und 30er Jahren immer deutlicher und fühlbarer werden: Wetterextreme mit Dürren, ausgedehnte Waldbrände auch in unserem Land, Stürme, Überschwemmungen, schaurige Bilder und Vorhersagen über schmelzendes Grönlandeis und, und, und.
Vergleichbar mit der Coronakrise wird die Klimakrise tief in den Arbeits- und Familienalltag eindringen (und tut es schon jetzt). Wirtschaftsbranchen, die auf fossile Energieträger, Verbrennungsprozesse und ihre Anwendung in Verkehr und Energieversorgung aufbauen, werden sich wandeln oder weichen müssen. Dagegen haben schnell wachsende Branchen im Umfeld erneuerbarer Energien und Digitalisierung auch international große Chancen. Über diesen Strukturwandel, die damit verbundenen Maßnahmen und vor allem dessen Finanzierung wird politisch gestritten werden müssen. Populistische Parteien und Gruppierungen werden Sturm laufen gegen die Demontage gut funktionierender fossiler Infrastrukturen, werden ihre Chancen in der großen Gruppe von Orientierungslosen und Verlierern suchen und finden. Aller Voraussicht nach werden noch mehr Klimaflüchtlinge, vor allem aus Afrika, zu uns kommen und unser Gewissen und damit unsere Gesellschaft und Politik auf eine harte Probe stellen. Viele Eltern werden auf die Fragen ihrer Kinder zu deren Zukunft nach Antworten suchen.
Ganz gleich, wann wir das gelobte Land der Klimaneutralität und der Zukunftsfähigkeit menschlicher Gesellschaften erreicht haben werden – bis dahin werden wir in einer Gesellschaft im Umbruch leben. Das bedeutet nicht nur großen Stress, Unsicherheit und Ängste, sondern auch Aufbruchsstimmung und Hoffnungen auf eine gute, nachhaltige Zukunft. Alles in allem werden wir in einer zunehmend von starken Emotionen bewegten, aufgerüttelten und aufgemischten Gesellschaft leben. Das müssen wir und unsere Kinder und Kindeskinder aushalten. In Psychologie und Soziologie spricht man in diesem Zusammenhang gern von Resilienz.(…) Auf jeden Fall geht es dabei um eine wie auch immer geartete und erworbene psychische und vielleicht auch gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit. Und persönliche Widerstandsfähigkeit ist in diesen bewegten Zeiten sicher sehr wertvoll. Mir liegt eine aktive, emphatische Strategie im Umgang miteinander, wie sie der Begriff Achtsamkeit beschreibt, näher. Achtsamkeit hat mit Verständnis für die Situation meiner Mitmenschen zu tun – vielleicht auch mit denen, die einen nicht so guten Schutzmantel der Resilienz tragen. Denn wenn ich in einer schwierigen Lebenssituation von Menschen umgeben bin, die mich verstehen und die mir mit Achtsamkeit begegnen, gibt mir das Kraft. Und diese Kraft brauchen wir alle in der großen Transformation.
Achim Bubenzer
„Opa, du hast es doch gewusst!“
160 S., Oekom Vlg., 19 €
Siehe auch unter „Wortwelten“ auf S. 10.
Textauszug mit freundlicher Genehmigung des Oekom-Verlages.
Autorin: Sabine Bourjau
Im Jahre 2013 hat es begonnen: neben vielen anderen nachhaltigen Bewegungen, die von der UNI Oldenburg ausgingen, gab es die Transition Town Initiative um Nico Paech. Hier entstand auch die Idee des Urban Gardening direkt neben dem Wilhelm 13 in Oldenburg. Eine kleine Netzwerkgruppe bildete sich aus NaBu, Slow Food, Wurzelwerk und Transition Town. Der Ort überzeugte durch seine zentrale und ruhige Lage. Und eine gute Wasserversorgung, z.B. mit Regenwasser vom Dach des „Wilhelm 13“.
Über Slow Food war ein Vertragspartner mit der Stadt Oldenburg gefunden. Im Jahr 2014 legten wir der Stadt Oldenburg ein Konzept mit unseren Ideen vor. Daraufhin wurde der einjährige mobile Gestattungsvertrag – es durften zunächst nur Pflanzkübel aufgestellt werden für den Rückbau am Jahresende - in einen fünfjährigen Gestattungsvertrag mit Einpflanzungen umgewandelt. Ein erster Meilenstein.
Mit den Jahren entstand eine wunderbare Kooperation mit dem Kulturveranstalter Wilhelm 13 sowie zur jüdischen Gemeinde. Am Wilhelm 13 wurden Tomatenpflanzen und Wein angebaut. Gerade bei den Tomaten und beim Grünkohl wurde mit alten Sorten experimentiert. Den erhielten wir netterweise vom Versuchsgelände der Uni Oldenburg. Überhaupt ist nahezu ALLES, Pflänzchen, Saatgut und vor allem Werkzeug aus Altbeständen gesammelt, gespendet, aus Weggeworfenem aufgelesen und nun weiterverwendet, denn Nachhaltigkeit steht ganz oben auf Bunkergarten-Agenda. Wobei das Saatgut von eigenen Gärten stammt oder hin und wieder von befreundeten Kleinbetrieben erworben wurde, z.B. dem „Wurzelwerk“ und ähnlichen Initiativen, mit denen sich eine gute Kooperation ergeben hat. Hier ist natürlich der NABU zu erwähnen, die Studenteninitiative oder die Donner-Nesseln.
Nichts kommt aus dem Baumarkt! Auch nicht die erstellten Hochbeete, die selbst gezimmert wurden und von denen zwei als „Bürgerbeete“ an der Bauwerk-Halle ihren Platz gefunden haben. Backsteine für eine Kräuterspirale fielen uns bezeichnenderweise beim Neubau der Steinstraße „in die Hände“, ein ausgedienter Rasenmäher fand seine Bestimmung, die Stadt erstellte einen ansprechenden, offenen Schuppen aus Beständen des alten PFL, der ehedem als Ruheraum für TBC-Kranke gedient haben mag, und versorgt mit Strom.
So ist nach und nach aus einem brachliegenden, etwas verwilderten Wiesen-Grundstück, auf dem sich lediglich Ackerschachtelhalm und hartnäckige Disteln wohlfühlten, ein kleines Paradies geworden (sogar mit Apfelbaum!). Und manch noch geschwächter Krankenhauspatient entfleucht zwecks Erholung kurz aus dem nahegelegenen „Evangelischen“, manch gestresste Innenstadtbesucherin oder Nachtschwärmer findet zu kurzem Durchschnaufen ein Plätzchen auf der mobilen Palettenbank.
Der steinig-schottrige Untergrund hat dazu veranlasst, etliche Hochbeete anzulegen, die mit dem anfallenden Kompost angereichert werden. Darin gedeihen jetzt Kichererbsen, Bohnen, Kürbis, Kartoffeln, Karotten, Kohl, Zucchini, Pastinaken, diverse Salatsorten, bereichert durch essbare oder einfach nur schöne Blüten, Kräuter und teils vergessene Gräser oder Wildpflanzen. Auch verschiedene Beerensträucher wurden angesiedelt, ein Blühstreifen und eine Benjeshecke angelegt, das Wissen um verschiedene Gartenbaumethoden wie Permakultur und Kompostierung ausgetauscht und z. T. in Workshops weitergegeben. Der Kontakt mit anderen Initiativen ist erwünscht und gegeben, seit April 2020 vor allem zum Ernährungsrat Oldenburg, dem der „Bunkergarten“ versicherungstechnisch angegliedert ist, da wir keinen Verein bilden, sondern eine freie Gemeinschaft bleiben wollen.
Trotzdem hat man sich auf einige Statuten geeinigt, die den Garten als einen Ort der Begegnung auszeichnen, an dem vielfältiges Wissen zu Themen wie Garten, Selbstversorgung oder Vorratshaltung weitergegeben wird. Der Bunkergarten symbolisiert sozusagen einen Nährboden für Vielfalt, Nachhaltigkeit und Gemeinschaft, was in einem Handreichungstext zusammengefasst und im Einzelnen gern nachzulesen ist.
Die Gruppe ist ansonsten mit Hilfe eines E-Mail-Verteilers, eines Blogs und wöchentlichen Treffen hierarchie-arm organisiert. An regelmäßigen Donnerstagen besprechen wir Anstehendes, Pläne und Vorgehensweisen, entwickeln Ideen und pflegen unsere Gemeinschaft. Der Garten bietet ein Experimentier- und Lernumfeld. Es geht darum, miteinander und voneinander zu lernen. Wir verstehen unser Gärtnern als Beitrag zur Umweltbildung und Gartenkultur.
Dazu gehören außerdem je nach Lust und Laune auch kleine Ausflüge mit Besuch in anderen Initiativen wie der Gemüsewerft Bremen, Heilkräuterschulen oder Biohöfen der Umgebung, einem gemeinsamen Pilzesammeln, Sonnwendfeier, Lagerfeuer oder dem Erntedankfest mit großem Gemüse-Eintopf aus hauseigener Ernte. Dann gab es den Markt der Möglichkeiten, Schnibbeldisco, Saatguttauschbörse, Radtouren etc.. In einer eigens gezimmerten Saatgutbox findet der Besucher Informationen, kann Überschüssiges entnehmen oder Selbstgesammeltes deponieren.
Wir sind offen für Interessierte und Neuzugänge!
Weitere Infos und Kontakt: www.bunkergarten-oldenburg.blogspot.com - bunkergarten@lists.posteo.de
Gartentreff: donnerstags ab 17 Uhr, im Winter früher: Leo-Treppstraße/ neben Wilhelm 13
Fotos: Manfred Kowalewski, Sabine Bourjau
Herausgeber Achtsames Leben:
Buchhandlung Plaggenborg
Lindenstraße 35, 26123 Oldenburg
Tel. 0441-17543
Karl-Heinz & Ulrike Plaggenborg
Das Achtsame Leben erscheint drei Mal im Jahr:
am 15. April, 15. August und 15. Dezember.
Der Abgabe-Termin für Anzeigen für die
Ausgabe April - August 2025:
(erscheint zum 15. April 2025):
Marktplätze, Veranstaltungen, Ausbildungen, Praxis & Methoden:
spätestens 23. Februar 2025;
Wer macht was im Internet, Kleinanzeigen:
spätestens 23. Februar 2025;
fertige Formatanzeigen: spätestens 14. März 2025.